Nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hat, dass der pauschale Verfall des Urlaubsanspruchs eines Arbeitnehmers bei fehlendem Urlaubsantrag unvereinbar mit der europäischen Urlaubsrichtlinie sei, hat sich das Bundesarbeitsgericht am 19.2.2019 dieser Auffassung angeschlossen.
In dem Urteilsfall verlangte ein Arbeitnehmer die Abgeltung von 51 Urlaubstagen, die er während seiner befristeten Beschäftigung nicht genommen hatte. Einen Urlaubsantrag hatte der Arbeitnehmer nicht gestellt. Während des letzten Jahres des befristeten Arbeitsverhältnisses hatte der Arbeitgeber darauf hingewiesen, dass Urlaubnach Vertragsende nicht ausgezahlt bzw. an einen neuen Arbeitgeber transferiert werden könne. Urlaub, der nicht während der Vertragslaufzeit genommen werde, verfalleautomatisch. Tatsächlich nahm der Arbeitnehmer jedoch nur an 2 Tagen Urlaub.
Nach der aktuellen Rechtsprechung muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Erforderlichenfalls muss er ihn förmlich auffordern, dies zu tun.
Dabei hat der Arbeitgeber klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.
Arbeitgeber sollten innerbetriebliche Prozesse initiieren, in denen die Arbeitnehmer auf die Notwendigkeit der rechtzeitigen Urlaubsinanspruchnahme und den möglichen Verfall hingewiesen werden.
Die Rechtsprechung kann auch Auswirkungen auf die Behandlung von sog. Mini-Jobs haben. Auch geringfügig Beschäftigte haben Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Der gesetzliche Urlaubsanspruch beträgt bei einer Sechs-Tage-Woche jährlich mindestens vier Wochen bzw. 24 Werktage. Arbeitet der Arbeitnehmer an weniger Tagen in der Woche, ist der Urlaub entsprechend anteilig zu berechnen.
Aufgrund der neuen Rechtsprechung kann es unter Umständen bei einer Sozialversicherungsprüfung zur Sozialversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte kommen, wenn der Erholungsurlaub nicht nachweislich gewährt wurde oder verfallen ist. Denn im Sozialversicherungsrecht gilt grundsätzlich das sog. „Entstehungsprinzip“. Die Bemessungsgrundlage der Sozialversicherungsbeiträge ist nicht das tatsächlich gezahlte Arbeitsentgelt, sondern das gegebenenfalls höheres Entgelt bei Anspruch auf zusätzliche Bezüge.
Wenn die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung bei Nichtgewährung von Urlaub oder zu Unrecht verfallenem Urlaub eine fiktive Urlaubsabgeltung zum Arbeitsentgelt hinzurechnen, kann das zur Überschreitung der Verdienstgrenze von monatlich 450 € führen (Phantomlohn). Die Folge ist, dass der sogenannte „Minijob“ sozialversicherungspflichtig wird. In solchen Fällen muss der Arbeitgeber regelmäßig auch die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers tragen.
Bei der Bildung von Urlaubsrückstellungen ist zu prüfen, inwieweit eine etwaige bisherige Praxis des Verfalls von Urlaubsansprüchen mit der neuen Rechtsprechung im Einklang steht.