Während man sich insbesondere aufgrund anstehender nationaler Wahlen des Eindrucks nicht erwehren kann, dass die Europäische Union politisch auseinanderdriftet, werden andererseits die auf der Agenda der Kommission stehenden Projekte unbeirrt vorangetrieben. Hier sollen nur zwei Projekte genannt werden: zum einen die Kapitalmarktunion, über die ich in der nächsten Ausgabe berichten werde, und zum anderen die Umsatzsteuerreform.
Das europäische Umsatzsteuersystem geht zurück auf das Jahr 1993; die letzte maßgebliche Richtlinie datiert vom 28. November 2006 (Council Directive 2006/112/EC on the common system of value added tax).
Vor etwa einem Jahr hat die Kommission einen „action plan on VAT“ vorgelegt: Towards a single EU VAT area – time to decide (COM 2016 148 final vom 07.04.2016); dieser Plan richtet sich an das Parlament, den Rat sowie den Wirtschafts- und Sozialausschuss.
Der Aktionsplan gliedert sich in folgende drei Maßnahmen:
- Anpassungen des USt.-Systems an die Entwicklung der digitalen Wirtschaft und an die Anforderungen der SMEs
- Maßnahmen zur Erreichung eines einheitlichen europäischen Umsatzsteuergebietes
- Harmonisierung der Umsatzsteuersätze
Sämtliche Maßnahmen sollten plangemäß in 2016, schwerpunktmäßig aber in 2017 durchgeführt werden.
Die Erwägungen der Kommission zur Modernisierung des Umsatzsteuerrechtes sind durchaus nachvollziehbar. Das Umsatzsteueraufkommen in Europa betrug in 2014 etwa 1 Billion EUR, was 7% des europäischen Bruttosozialproduktes entspricht. Damit ist die staatliche Finanzierungsfunktion der Umsatzsteuer unbestritten; auch die EU selbst erhält aus der Umsatzsteuer entsprechende Anteile.
Andererseits sind die Klagen über die Komplexität und die Betrugsanfälligkeit des Systems Legende. Die sog. „Umsatzsteuerlücke“ (also die nicht erhobene Umsatzsteuer) wird auf etwa 170 Milliarden EUR geschätzt, wovon alleine 50 Milliarden EUR auf den grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrug entfallen. Die Umsatzsteuerlücke variiert zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten höchst signifikant von 5% bis mehr als 40% des nationalen Aufkommens.
Um die steuerliche Problematik grenzüberschreitender Lieferungen und Leistungen zu beseitigen, hat man ursprünglich die Abkehr vom sog. Bestimmungslandprinzip diskutiert, begleitet von der Einführung des Ursprungslandprinzips. In dem Greenpaper vom Dezember 2010 hat man sich jedoch von dieser Idee verabschiedet. Vielmehr will man nunmehr an dem Bestimmungslandprinzip festhalten. Die Auswirkungen in der Veranlagung und der Erhebung der Steuer sollen jedoch dem Ursprungslandprinzip gleichkommen.
In dem Sinne will man eine „Single European VAT area“ schaffen, in der grenzüberschreitende Transaktionen in gleicher Weise besteuert werden wie inländische Geschäfte. Dies soll heißen, dass beispielsweise ein Export von Düsseldorf nach Amsterdam genauso steuerlich behandelt wird wie ein Liefergeschäft von Düsseldorf nach Köln. Der ausländische Empfänger wird mit ausländischer Umsatzsteuer belastet und ein System zur ländergerechten Zahlung dieser „Export-Steuer“ muss im B2B-Geschäft implementiert werden.
Zertifizierte Importeure („compliant businesses“) sollen wie bisher einen innergemeinschaftlichen Erwerb versteuern, was die Komplexität wegen zweier Verfahrensweisen deutlich erhöhen wird. Daneben soll das an sich systemwidrige Regime der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge) ausgeweitet werden.
Das von bestimmten Leistungen bereits bekannte One-Stop-Shopping-System soll zur Erleichterung der Administration für die Unternehmen ausgebaut werden, so dass der Unternehmer bei Tätigkeit in verschiedenen europäischen Ländern an einer Stelle, nämlich zukünftig im Land der Ansässigkeit, seine Umsatzsteuererklärung abgeben kann. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen daran anschließend ein Ausgleichsystem installieren.
Als spätere, zweite gesetzgeberische Maßnahme ist sodann geplant, dass nicht nur B2B, sondern alle grenzüberschreitenden Lieferungen und Leistungen im europäischen Binnenmarkt wie inländische Lieferungen und Leistungen behandelt werden. Um dies administrieren zu können, sollen die Kapazitäten bei Eurofisc deutlich aufgestockt werden.
Die Literatur zu den unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen in Europa ist zahlreich. Der Minimumsatz für die volle Besteuerung beträgt 15%; der ermäßigte Satz beträgt mindestens 5%. In einzelnen Fällen kann es vorkommen, dass auch Umsatzsteuersätze auf bestimmte Güter in bestimmten Ländern unter 5% liegen.
Während sich die Kommission ausführlich dahingehend äußert, dass es für ein solches Steuersatz-Wirrwarr keine sinnvolle Begründung und daher auch keinen Raum geben sollte, verlässt sie andererseits der Mut. Es soll auch weiterhin keinen einheitlichen Umsatzsteuersatz, sondern lediglich den vorgeschriebenen Minimumsatz von 15% geben; allerdings soll die Liste der ermäßigt besteuerten Waren und Dienstleistungen deutlich reduziert werden.
Etwas konkreter sind die Vorstellungen der Kommission nunmehr hinsichtlich des sog. SME-Packages. Bis 20.03.2017 wird eine öffentliche Anhörung über die besonderen Umsatzsteuervorschriften für SMEs durchgeführt. Im Prinzip geht es hierbei darum, die sog. Klein-Unternehmer-Regelung, unter die laut EU-Kommission etwa 70% der Unternehmen fallen, zu überarbeiten. Die Vorschläge gehen von einer Anhebung des Freibetrages bis zu pauschalen Steuersätzen oder einer stufenweisen Heranführung an den Normal-Steuersatz. Auch die Ausweitung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten ist in der Rede sowie die Einführung eines Status als „occasional trader“.
Ob die Vorschläge den kleineren Unternehmen tatsächlich helfen, mag bezweifelt werden. Bereits jetzt werden über alle Unternehmen hinweg die durchschnittlichen USt.-Compliance-Kosten für Auslandslieferungen auf 8.000 EUR p.a. geschätzt. Was m. E. wirklich helfen würde, wäre eine Entformalisierung der Umsatzsteuer, insbesondere bei den Dokumentations-, Rechnungs- und Berichtigungsformalien.